Drakenhorst um 997 LZ

Ragnar hörte sich alles an. Nichts an ihrer Aussage wies darauf hin, wieso Drakon Bisswunden hatte, die definitiv nicht zu einem Schattenwolf gehörten. Er lehnte sich zurück. Sie behauptete auch, sich nicht erinnern zu können. Er kippelte ein wenig nach hinten, als er nun die Arme verschränkte und Luna musterte. Vielleicht hatte sie einen Schlag gegen den Kopf bekommen. Schließlich waren sie scheinbar ja in Lebensgefahr gewesen. Dann aber sah Ragnar sie plötzlich wieder an. „Warte… Papa hat am Bauch geblutet?“ Luna nickte und sagte ganz traurig und mit dicken Tränchen in den Augen, dass er sie beschützt hatte und dabei das Phantom ihn regelrecht aufgespießt hatte. Sie formulierte es natürlich anders, aber Ragnar sah sie etwas verdutzt an. Er fragte: „Weißt du noch, wo genau?“ er deutete auf seinem Bauch herum und Luna pikte ihm dann an die entsprechende Stelle.
Lanara sah bestürzt aus. Sie hatte nicht gewusst, dass es SO schlecht um ihren Sohn stand. Aber sie wusste ja auch nicht, dass diese Wunde längst wieder verheilt war und Ragnar hatte gesehen, dass Drakon keine solche Wunde gehabt hatte. „Bist du dir da ganz sicher Luna?“ Sie nickte abermals und schließlich erhob sich Ragnar erneut. Er musterte das Kind uns sah dann zu den Frauen. „Ich bin gleich wieder da.“
Erneut ging er in den Krankenflügel und auch zu seinem Sohn, der noch immer schlief. Eine Schwester war gerade bei ihm und Ragnar ordnete an: „Nimm ihm die Verbände ab!“ Die Schwester sah ihn schockiert an. „Bitte was? Aber, die Wunden sind noch nicht verheilt!“ Ragnars Blick hätte Seide schneiden können. „Aber…“ Sie war so eingeschüchtert, dass sie regelrecht in Schockstarre verfiel.

Tessa wurde kreidebleich, als sie das hörte. Sie drückte Luna noch einmal und stand dann auch auf, setzte sich aber sofort wieder. Das war keine so gute Idee gewesen. Ein leises aufstöhnen verließ ihre Lippen. Das war doch nicht zu fassen. Musste sie das so erfahren und dann noch ausgerechnet jetzt?
"Luna mein Schatz ... Bist du sicher das du das nicht geträumt hast?"
Aber Luna schüttelte den Kopf. Sie war noch immer ganz fertig und weinte. Tessa nahm sie wieder in die Arme.
"Mein kleiner Schatz."
Sie würde Gewissheit haben, wenn Ragnar zurück käme.

Im Krankenflügel wollte Aya sich eigentlich beschäftigen, aber wie? Sie sah zur Tür als Ragnar noch einmal kam und von der Schwester verlangte, die Verbände zu entfernen. Was zum Teufel hatte er denn nun wieder? Sie konnten wohl kaum etwas dagegen unternehmen, oder?
"Kommandant ... meint ihr nicht, das es besser wäre, wenn er sich erst einmal ein wenig auskuriert?"
fragte Aya vorsichtig.

Ragnar ignorierte Aya vollständig und Liam sah mit leicht geöffnetem Mund zu, was dort getrieben wurde. Was war denn jetzt los? Dann aber dämmerte es ihm. Luna musste etwas erzählt haben. Ragnar nahm seinen Stiefeldolch und zerschnitt einfach die Verbände, die um Drakons Bauch waren. Dieser wachte nun aber auch endlich dadurch auf. Er keuchte auf und schreckte hoch, weshalb Ragnar ihn beinahe noch aufgeschlitzt hätte, wenn er den Dolch nicht rechtzeitig wieder zurückgenommen hätte. Drakon keuchte und hielt sich die Hand vor den Mund. Er hatte furchtbar geträumt, aber war nicht in der Lage gewesen aufzuwachen. Jetzt aber beruhigte er sich wieder und sah dann erschrocken auf. „Vater!“, entwich es ihm. „Was…?“, fragte er und musterte den Dolch, dann sein Gesicht. Ragnar legte ihm die Hand auf die Brust und drückte ihn einfach zurück. Drakon ließ es verwirrt geschehen und Ragnar betrachtete nun den freigelegten Bauch Drakons. Dort war eine tiefe und frische Narbe. Etwa an der Stelle, die Luna gezeigt hatte. Ragnars Blick ging hoch zu Drakon und er fragte: „Diese Wunde… soll eine Woche alt sein?“ Drakon blickte selbst auf die Narbe und legte dann die Hand drauf. Er suchte nach Worten, fand aber keine und schließlich sagte er leise. „Wir haben viel zu besprechen.“ Ragnar sah nur eine Weile zu ihm herab und Drakons Gesichtsausdruck sprach Bände. Ragnar konnte in etwa begreifen, was sein Sohn von ihm wollte, aber so wie es im Moment aussah, war er so sehr geschwächt, dass er kaum die Augen offenhalten konnte. „Was bei allen Göttern, ist euch nur zugestoßen?“ Drakon stieß die Luft aus. „Mehr als du dir vorstellen kannst.“ Ragnar sah zu den anderen beiden und schließlich wieder zu Drakon. „Bist du transportfähig?“ Uhh, Drakon hatte überhaupt keine Lust, jetzt mit seinem Vater all das zu diskutieren, aber er wusste auch, wie ungeduldig er war. Er wendete den Blick zur Seite und sagte schließlich: „Ich glaube nicht.“ DAS überraschte Ragnar nun wirklich. Die Schwester drückte ihn nun auch vehement zur Seite und rief aufgebracht: „Seht, was ihr angerichtet habt!!!“ Drakons Wunden bluteten wieder und sie würde ihn erneut verarzten müssen. Sie scheuchte Ragnar davon und schließlich legte ihm ein Arzt nahe, die Station zu verlassen, was er nun auch tat. Er ging zurück zu seiner Frau, Tessa und Luna und blieb an die Tür gelehnt stehen, nachdem er sie hinter sich geschlossen hatte. Es war totenstill.

Etwas anderes konnte kaum der Anlass dafür gewesen sein, das Ragnar nun auch noch die Verbände zerschnitt. Er wies auf die Wunde, an der Drakon durchbohrt worden war. Mist ... Alle wussten, wie ungeduldig Ragnar war. Wenn er Drakon nicht zum sprechen bringen konnte, würde er sich entweder Aya oder Liam ran holen, oder Luna weiter löchern. Sie wechselte einen Blick mit Liam und sah dann zu Drakon. Ihm ging es gar nicht gut und sie konnte das deutlich sehen.Das konnte noch was werden. Wie viel Zeit blieb ihnen aber nun noch, um das zu klären?

Tessa wartete ungeduldig auf Ragnar. Er war so ungeduldig und konnte einfach nie locker lassen, wenn er etwas wissen wollte. Tessa stand erneut auf, dieses Mal aber langsamer, als Ragnar nun wieder da war. Tessa ertrug das hier nicht. Sie nahm Luna an die Hand.
"Luna muss zum Unterricht. Sie ist gesund und kann mit machen. Drakon wird dir schon sagen, was vor gefallen ist. Hab etwas Geduld. Es bringt nichts, wenn du es erzwingen willst,"
meinte sie ruhig. Sie würde sich nicht anmaßen, ihrem Schwiegervater etwas vor zu schreiben. Zusammen stauchen würde sie ihn nur dann, wenn er sich absolut unvernünftig verhielt, was er ja gerade nicht tat.
"Komm Luna. Du musst wieder in den Unterricht. Später gehen wir dann Papa besuchen, ja?"
Luna nickte. Sie wollte ja erzählen was passiert ist, aber was würde Papa dann sagen? Luna hatte ja nicht gelogen, nur etwas ausgelassen.