Drakenhorst um 991 LZ

Drakon musste sich erst mal beruhigen. Aber wie konnte er das, wenn Tessa schon an ihm klebte, wie eine Klette. Er holte stoßweise Luft und hörte das arme Mädchen weinen. Was musste sie sich erschreckt haben. Was war überhaupt gewesen? War er bewustlos gewesen? Hatte er geschlafen? Er bekam wieder Farbe und schließlich krächzte er. „Schon… gut.“ Sie klammerte an seinem Rücken, und es war schon unangenehm. Er richtete sich umständlich wieder auf und sie umarmte ihn weiter. Nun von Vorn. Sie weinte hemmungslos und Drakon ließ es geschehen.
Idiot! Nimm sie in die Arme! Drakon erkannte die Stimme und es bohrte sich in seinen Kopf. Was?! Wieso… bist du… Er nahm aber die Arme hoch und schloss sie um Tessa. „Tut mir leid… ich… wollte dich nicht erschrecken.“ Sagte er schließlich. Er war es ihr schuldig. Nein Moment, war er nicht! Dieser… na diese Gestalt war Schuld! Was hatte er ihn auch in seine eigene Seele entführt?! Unverzeihlich!

Tessa ließ etwas lockerer, aber nicht ganz los. Das in den letzten tagen, war einfach viel zu viel. Sie konnte nicht anders, als zu weinen. Was hätte sie ohne ihn tun sollen? Sie wäre verloren gewesen. Und doch war sie stark genug, um sich langsam zu beruhigen. Allerdings gefiel ihr die Umarmung viel zu gut, als das sie sie jetzt lösen wollte. Sie hielt sich weiter an ihm, schluchzte noch ein bisschen und sah aus verweinten Augen kurz auf.
"I- ich ... dachte.... ihr sterbt ..."
und schon drückte sie sich wieder an ihn. Er war so warm, seine Haut so weich. Tessa wollte ihn am liebsten nicht mehr los lassen. Es war ihm schon so peinlich gewesen, als er auf ihrem Schoß wach wurde, wie peinlich musste ihm dann das jetzt sein? Langsam beruhigte sie sich mehr und ließ schließlich auch von ihm ab. Sie wischte die Tränen weg und sah Drakon nun direkt an.
"Geht es ... geht es wieder?"
Nun das hoffte sie zumindest denn er war wirklich sehr blass gewesen.

Drakons Gedanken rasten. Was geschah hier eigentlich gerade? Sein Leben… Sein ganzes Leben war in strikten Bahnen, genauen Regeln und präzieser Disziplin verlaufen. Und jetzt? Er saß auf einer Klippe, mit zerschmetterten Knochen. Eine UNFASSBAR schöne und freundliche Frau klammerte an seiner Brust und weinte hemmungslos, weil sie fürchtete, er würde sterben, ein… Geist war in seinem Kopf und verabreichte ihm Seelenqualen? Er hatte seine Einheit verloren, hatte die Zofe, seiner Schutzbefohlenen getötet und würde mit ihr nun noch mindestens eine Woche alleine durch die Ebene wandern! WAS SOLLTE DAS?!
Sie sah zu ihm auf und ihr Blick war lähmend. Sie hatte Angst, dass er starb und das einzige was er zusatnde brachte, war: „Eh?“
Dann fragte sie, ob es ihm wieder gut ging. NEIN verdammt! Innerlich kochte er und wollte einfach schreien. „Ja.“, antwortete er nüchtern und gelassen. Er raufte sich innerlich die Haare. Durfte er nicht auch eigentlich mal ausrasten? Er wollte auch mal die Beherrschung verlieren, schloss nun aber einfach die Augen, holte tief Luft und sagte: „Ich sterbe nicht so einfach.“ Dann lächelte er nett und ließ sie los. Sie löste sich schließlich auch von ihm. „Und ihr? Geht es euch gut?“ Sie hatten sich doch eigentlich nicht mehr danach fragen wollen. Drakon senkte den Blick. Hoffentlich würde diese Stimme ihn nun nicht andauernd heimsuchen.

Tessa war so unendlich erleichtert.
"Ja, ja jetzt geht es mir wieder gut."
Die Kratzer und Schrammen verheilten ja auch bei ihr recht gut.
"Ich habe mich nur so sehr erschrocken. ich wusste nicht, was passiert ist und wie ich euch helfen konnte. Das war ... ich hätte euren Verlust nie überwunden."
Und das meinte sie genau so, wie sie es gesagt hatte. Natürlich würde sie ihm jetzt nicht ihre Liebe gestehen oder etwas in der Art, aber sie hatte Drakon ins Herz geschlossen.
"Vielleicht ... sollten wir uns noch etwas ausruhen und vielleicht ... finden wir auch noch etwas Schlaf."
Hier war ja nichts, was sie stören würde, oder angreifen. Zumindest hoffte sie das. Zwar tat ihr schon alles weh, vom harten Boden, aber die Müdigkeit siegte immer. Wenigstens konnte sie sich auf Drakons Schulter legen. Letzte Nacht war schließlich auch nicht die Bequemste gewesen. Sie hatte im Sitzen geschlafen, um es Drakon möglichst gemütlich zu machen. Er musste doch eh schon so leiden, da würde sie ihm nicht auch noch ein wenig Bequemlichkeit verweigern. Weiter wollten sie erst am nächsten Tag und bis dahin, dauerte es noch ziemlich lang, denn dieser tag war ja nicht mal rum.

Sie hätte seinen Verlust nie überwunden? Aber ihre Wege würden sich in jedem Fall trennen! Drakon musterte sie, während sie sich erklärte. Es war ja gerade mal Mittag und Drakon war schon dafür, sich auszuruhen, aber an schlaf war gar nicht zu denken. Er konnte jetzt nicht so einfach einschlafen. Insbesondere auch deshalb nicht, weil viel zu viel in seinem Kopf herumspukte. Dieser Kerl, wie km er denn in seine Seele und warum war er da? Und WER war er überhaupt? Drakon war verwirrt. Als er so darüber nachdachte, fiel ihm schließlich auf, dass Tessa ja noch auf eine Antwort wartete. Er sah sie also wieder an. „Ja. Ausruhen. Guter Plan.“ Hatten sie das nicht ohnehin schon vorgehabt? Er kam sich blöd vor. Sie musste ihn doch für dumm halten. Warum scherte es ihn überhaupt, was sie von ihm hielt? Drakons Welt stand Kopf. Er konnte gar nicht so viel denken, wie ihm durch den Kopf ging. Es war zum Haare raufen.
„irgendwann werden sich unsere Wege trennen, Mylady.“ Das sagte er wegen ihrer Aussage, dass sie seinen Verlust nicht überwinden würde und schon stach sich wieder die Stimme in seinem Kopf. Gut gemacht, du Held! Jetzt hast du sie traurig gemacht! Sag ihr, dass du dass auch bedauerst! Drakon schloss die Augen und stammelte: „Also… ich mein, ich werde das auch bedauern…“ Warum eigentlich? Ja, er mochte sie und sie war wirklich etwas ganz Besonderes, aber er kannte seine Pflichten!

Na wunderbar. Sie hatten ja von vorn herein vor gehabt hier zu bleiben, aber es hätte ja auch sein können, das er seine Meinung noch änderte. Er wirkte so verwirrt und dann seine bescheuerte aussage, sie daran zu erinnern, das sich ihre Wege ohnehin trennen würden. Das tat weh, was man ihrem Gesicht auch gleich ansah. Er bedauerte es also? Dann ... war sie ihm also doch nicht so egal? Das war doch irgendwie süß oder?
"Ja, es wird so sein, aber wenigstens ist es nicht der Tod, der mich von euch trennt. Das gibt mir die Hoffnung, auf ein Wiedersehen mit euch."
Nun ehrlich war sie ja wenigstens. Nun ... sie hatten nicht mehr viel von den Früchten, was sie ehrlich auch nicht bedauerte. Je weniger sie mit sich herum schleppen müssten, um so leichter der Abstieg. Reichte doch schon, das sie sein Schwert auch irgendwie mit runter nehmen musste. Nun sie würde es mit dem Beutel auf ihren Rücken binden, um herunter zu kommen. Sie setzte sich nun wieder hin und sah zum Tal. Dort wartete frisches Wasser, ein Bach in dem sie baden konnte und vermutlich bessere Früchte, als die, die sie gerade da hatten.
"Ihr werdet mir sehr fehlen, wenn ihr fort seid,"
erklärte sie, ohne ihn an zu sehen.

Drakon dachte immer noch über seine jetzige Situation nach und als Tessa wieder mit ihm sprach, realisierte er es auch erst gar nicht. Erst als sie ihm sagte, dass er ihr sehr fehlen würde, sah er auf. Nun… mochte ja sein. Änderte aber rein gar nichts. Er sah wieder ins Tal hinab und schließlich sagte er: „Nichts ist von Dauer.“ Auch etwas, was er schon oft an der Mauer erleben musste. Er musste gerade an das Paar denken, was sie verbrannt hatten. Sie waren gemeinsam gestoben. Wie es sich angefühlt haben mochte. Einer der beiden musste ja früher gestorben sein. Drakon konnte sich nicht vorstellen, dass sie beide gleichzeitig… und sie hatten Kinder zurückgelassen. Drakons Blick senkte sich. Das war doch genau der Grund, wieso er keine Partnerin gewollt hatte. Das und die Tatsache, dass er mit Liebesdingen eh nichts anfangen konnte.
Tessa hatte wirklich traurig geklungen, als sie gesagt hatte, dass er ihr fehlen würde. Ja, davon war er auch überzeugt und er? Ihm würde das alles sicher auch fehlen. Auch wenn es ihm alles andere als ging, so fand er diesen Ausflug doch irgendwie lehrreich und auch schön. Ohne, dass er es wusste hatten Liam und Aya damit schon mal eines ihrer Ziele erreicht.
Drakon sah sie nun an. „ich…“ Er brach ab. Was wollte er sagen? Ihr sagen, dass sie ihm auch fehlen würde, kam wohl nicht in Frage, das wäre anmaßend. Sie war immer noch eine Dame aus hohem Hause und er ein simpler Wächter…

"Schon gut. Ihr müsst mich nicht trösten oder es versuchen. Das nichts von Dauer ist, weiß ich schon lange. Als meine Mutter starb, war mein Vater untröstlich. Ich war noch zu klein um das zu verstehen, aber er hat seit dem alles daran gesetzt, nicht auch noch Meli und mich zu verlieren. Vielleicht hat das von ihm auf mich abgefärbt. Schließlich ist der Tod etwas Endgültiges. Ein Abschied dagegen, muss nicht für immer sein."
Ihr Blick suchte den seinen, als sie den Kopf drehte. Wieder lächelte sie, als sie ihn gefunden hatte.
"Ich werde einfach die zeit, die ihr bei mir seid, genießen. Danach werde ich schöne Erinnerungen haben und ... hoffen, das es doch ein Wiedersehen geben wird."
Nun damit hatte sie ihm ja immer noch nicht gesagt, was sie empfand. Das konnte schließlich auch auf freundschaftlicher Ebene gemeint sein.

Drakon war etwas beruhigt, dass sie es so sah. Und dass er sich hier nun nicht auch noch um Kopf und Kragen reden musste. Er sagte jedoch auch nichts mehr dazu. Sie redeten ein wenig über belanglosen kram oder schwiegen sich an und schließlich konnten sie schlafen gehen. Irgendwie war es schön mit ihr zu reden, aber Drakon hatte auch das Gefühl, dass das ganze nicht gut war er konnte nicht wirklich damit umgehen.
Die Nacht verlief ereignislos und Drakon schlief zur Abwechslung mal ganz ruhig, während Tessa sich wieder an ihn kuschelte, um nicht zu frieren. Sein Körper war ja immer noch ganz warm, da er immer noch die Heilung vorantrieb.

Am nächsten Morgen wachten beide ziemlich gleichzeitig auf und Drakon fühlte sich trotzdem wie durch den Fleischwolf gedreht. Er stöhnte leicht. Na ja, war ja auch erst drei Tage her, seit er gestürzt war. So was heilte selbst bei ihm eben nicht von jetzt auf gleich. Insbesondere nicht, ohne medizinische Hilfe. Er sagte verschlafen. „Es… ist wohl Zeit.“ Sie holten die letzten Früchte aus dem Sack und aßen diese widerwillig. Die Früchte jedenfalls würde Drakon nicht vermissen.
Nach dem Frühstück erhob er sich mit Tessas Hilfe und sah den Abhang hinab. Wie sollte er DAS denn machen? Er prüfte seinen Oberarm und sah an seinem Bein hinab. Ja, das war ein echtes Problem. Er hatte nicht mal ein Seil, damit er Tessa im Notfall halten könnte. Auf der anderen Seite, würde er sie mit in den Tod reißen, wenn ER abstürzen würde.
„Ich werde vorgehen.“, legte er fest und wartete auf Tessas Zustimmung. Sie war eine gute Kletterin, aber wäre sie unter ihm und er würde fallen… sie könnte ihn sowieso nicht auffangen und sicherlich würde er sie nur mit in die Tiefe reißen.
Warte… DA willst du runter? Hast du vielleicht vergessen, dass du gebrochene Knochen hast? Ich brauche dich lebend!
„jetzt halt endlich die Klappe!“, sagte Drakon.

Wenigstens war das geklärt. Sie vertrieben sich irgendwie die Zeit mit Gerede über dies und das, bis sie irgendwann einschlafen konnten. Am nächsten Morgen, wachten sie beide ziemlich gequält auf. Drakon vermutlich wegen der gebrochenen Knochen, Tessa, weil sie Stellen an ihrem Körper spürte, von denen sie nicht einmal wusste, das sie existieren. Es war wirklich unbequem auf so einem harten Boden zu schlafen.
"Ja ... wenn wir es noch schaffen wollen, vor dem Abend da unten zu sein, sollten wir jetzt los."
Und so standen beide auf. Tessa befestigte das Schwer mit dem Beutel und dem Wasserschlauch an ihrem Rücken. Drakon wollte vor gehen.
"Ok. Aber seid bitte vorsichtig."
Wie aufs Stichwort, kam seine Aussage, endlich die Klappe zu halten.
"WIE BITTE?!"

Du bist so blöd, ich geh kaputt… Drakon ballte die Fäuste Tessa schnauzte ihn an und Drakon wollte im Erdboden versinken. Er wusste nicht, wie er sich daraus retten sollte. Der Kerl in ihm hatte gesagt, er solle besser niemandem erzählen, dass er da war. Drakon überlegte fieberhaft und war regelrecht erstarrt. „Ich… uhm… ich… also…“
Ein Vogel kreischte über ihm und der Kerl in ihm sagte: Du meintest das Geschrei des Vogels!
„Ich… meinte… Ich meinte den Vogel!“
Hatte der Vogel zuvor schon mal gekreischt? Drakon war sich nicht sicher. „Verzeiht bitte, ich würde doch niemals so etwas zu euch sagen.“ Er sah wieder den Abhang hinab. Dann setzte er sich hin und strich sich über die linke Körperseite. Er sah hoch und sagte verlegen lächelnd: „Wirklich… ich habe nicht euch gemeint.“
Hey! Ich hab wirklich ein Problem wenn du stirbst. Lass das! Drakon sah finster hinab und in ihm breitete sich Genugtuung aus. Wenn er wirklich fallen sollte, würde er diesen Bastard wenigstens scheinbar mitnehmen.
„Wir sollten los.“ Die Krücke ließ er liegen, Tessa würde sie mitnehmen müssen. Ebenso, wie sein Schwert.

Tessa sah verwirrt zu dem Vogel oben auf. Hatte der denn gerade schon geschrien? Eigentlich nicht oder? Naja. dieses Mal wollte sie es ihm noch einmal verzeihen. Das nächste Mal würde er aber gehörig die Leviten gelesen bekommen. Tessa nahm seine Krücke etwas wuchtiger auf, als es geplant war. Auch seine zweite Entschuldigung klang eher ausweichend, als entschuldigend.
"Schon gut. Versuchen wir heil da runter zu kommen."
Tesse klemmte die Krücke mit zum Schwert, wodurch das ganze noch mehr halt bekam. Konnte ja nicht schaden. Im Gegensatz zu ihm, musste sie sich allerdings auf den Bauch legen, um über die Kante zu kommen, denn das Schwert und die Krücke verhinderten, das sie sich setzen konnte.
"Wir werden das schaffen. Hauptsache ihr passt mit euren Brüchen auf. Ich kann euch schlecht auch noch tragen."
Sie würde es versuchen, aber vermutlich kläglich scheitern. Denn noch war sie fest entschlossen, ihn nicht zurück zu lassen.

Drakon grämte sich wirklich, über diese unverschämte Person und er konnte ihm nicht mal gegen an reden. Könnte er vielleicht einfach gemeine Dinge denken? Auf der anderen Seite, fiel ihm da auch nichts ein. Er war wirklich nicht der Typ, gemein zu sein. Er begann den Abstieg.
Vorsichtig und sehr langsam kamen sie voran. Drakon spürte, wie ihm die Anstrengung zusetzte es tat furchtbar weh, wenn er mit der linken Hand loslassen musste und sich nur mit der Rechten festhalten konnte. Sein Bein versuchte er so gut wie gar nicht zu belasten und sein ganzer Brustkorb schmerzte. Bereits nach einer halben Stunde hing er an der Wand und verharrte dort. Er konnte schon jetzt nicht mehr und sie hatten noch nicht mal ein viertel hinter sich. Angestrengt holte er Luft und ächzte. Das war eine Scheißidee gewesen. Aber dort oben wären sie wohl einfach verdurstet.
Jetzt mach bloß nicht schlapp! Da unten! Nur noch ein Stück, da ist eine Plattform! Drakon sah hinab. Tatsächlich. Er hatte sie vorher nicht gesehen. Er riss sich zusammen und drei Meter über diesem rettenden Boden, verlor er doch den Halt, rutschte an der Wand hinab und schlug auf der Plattform auf, wo er über den Rand rutschte und sich im letzten Moment noch festhielt. Da hing er nun. DAS war schlecht. Tessa konnte ihn unmöglich hochziehen. Sein Bein schmerzte und auch die Rippen. Ja… Das war eine Scheiß Idee gewesen

Es war wirklich nicht die intelligenteste Idee gewesen hier herab zu klettern, aber es war die intelligenteste, die sie in diesem Moment treffen konnten, denn weder gab es einen anderen Weg hinunter, noch würden sie da oben lange überleben. Tessa kletterte Drakon nach, dem es offensichtlich nicht gut ging. Er musste weiter runter. Rauf ging nicht mehr. Tessa sah ab und an nach unten. Eine Plattform. Da könnten sie vielleicht rasten. Ohnehin würden sie sich etwas überlegen müssen, wie sie Drakon weiter runter bringen könnten. Seine Brüche würden das nicht lange mit machen. Tessa sorgte sich wirklich sehr um ihren Beschützer. Warum konnte sie ihn nicht einfach heilen? Leider ging das nicht. Sie waren nicht mehr weit entfernt von der Plattform, als Drakon abrutschte und über den Rand fiel, wo er sich gerade noch so fest halten konnte.
"DRAKON!!!"
rief Tessa, als sie das Rutschen bemerkte. Sie kletterte schneller herunter, achtete aber darauf, nicht auch noch ab zu rutschen. Sie kam auf die Plattform, warf sich nach vorn und hielt ihm die Hände hin. Tolle Idee. Und jetzt? Sie war doch nicht stark genug, um ihn hoch zu ziehen. Er könnte sich nicht mal mit seinem Bein hoch ziehen, weil es gebrochen war. Denn noch. Wenn man in der Not war, konnte man übermenschliche Kräfte entwickeln, hatte sie gelesen.
"Versuchen wir es."
Würde es nicht funktionieren, stürzten sei wohl beide in die Tiefe und wenn es klappte, wäre Drakon gerettet.

Tessa rief nach ihm. Sie würde noch Dummheiten machen, wenn er es nicht wieder hoch schaffte. Seine Fingerspitzen taten weh. Er würde nicht mehr lange so hängen können. Sie legte sich auf den Bauch und hielt die Hände hin. Das ging nicht… Er würde sie einfach hinabreißen.
Der Stock! Lass sie dir den Stock geben! Drakon stöhnte und sagte leise: „Benutzt… die Krücke!“ Sie wollte sie ihm reichen, als die Stimme in seinem Kopf erneut loslegte: Nein! Sie soll sie hinlegen, dann soll sie sich ganz hinten drauf stellen. Sie darf nur ganz knapp über den Fels ragen, die Hebelwirkung verhindert, dass dein Gewicht sie anhebt. Drakon sah hinauf und sagte: „Legt sie hin.“ Die Krücke. Nun ragte sie zur Hälfte rüber. „Zieht sie noch ein Stück zu euch und stellt euch hinten drauf.“
Er griff nach dem Stock und er hielt tatsächlich. Drakon zog sich ein Stück hoch und hing nun mit beiden Armen, auf dem Fels. Er keuchte und nun konnte Tessa versuchen, ihn hochzuziehen. Gemeinsam schafften sie es und erschöpft drehte sich Drakon auf den Rücken und keuchte. Er holte angestrengt Luft. Hoffentlich hatte er sich nicht wieder irgendwas verschoben. Er blickte auf seine Beine. Sah normal aus, oder? Die Schiene hatte gehalten. Trotzdem tat es weh. „Danke…“, sagte r erschöpft.

Tessa versuchte Drakons Hand zu greifen, der aber verweigerte das. Statt dessen sagte er ihr, was sie tun wollte. Sie tat, was er wollte und stand mit ihrem Leichtgewicht am Ende der Krücke. Drakon schaffte es tatsächlich sich hoch zu ziehen. Zumindest hing er mit den Armen oben auf der Plattform. Tessa zog die Krücke ein Stück zurück, eilte zu Drakon und half ihm hoch. Erschöpfter als er war sie bestimmt nicht, denn was er da für einen Kraftaufwand betreiben musste, trotz der Verletzungen, war schon nahezu unmenschlich. So lagen sie nun nebeneinander, rangen nach Luft und waren Froh noch zu leben. Tessa setzte sich wieder auf, als sie wieder zu Atem kam.
"Vielleicht war es doch nicht so eine gute Idee, das ihr vor geklettert seid?"
Anders herum wäre es ihr doch genau so passiert. Seine Brust hatte jetzt jedenfalls ein paar ordentliche Schrammen mehr.
"Geht es euch gut?"
Sie konnte sich gut vorstellen, das ihm alles schmerzte und das schlimmer als zuvor. Sie wollte eigentlich nur sicher gehen, das er sich die Brüche nicht erneut gebrochen hatte, oder weitere zu gezogen.

„Wärt ihr… voran geklettert, hätte ich euch sicherlich mitgerissen.“ Er stöhnte gequält und da war sie wieder…. Diese Frage. Die Frage, die irgendwie von keinem der Beiden je ehrlich beantwortet worden war. Ob es ihm gut ging… Er schloss die Augen. Ging es ihm gut? Nein. Es ging ihm ganz und gar nicht gut. Er hielt kurz die Luft an und versuchte sich aufzurichten. Erfolglos. Was war das denn für eine Frage?
„Nein, Mylady.“, entschied er sich nun zu sagen. „Es geht mir alles andere als gut.“ Nun sah er sie wieder an und es klang fast sarkastisch: „Und euch?“
Eigentlich war Drakon ja gar nicht so, aber das alles hier ging ihm gewaltig auf die Nerven. Ganz besonders aber diese dämliche Stimme. Würde sie jetzt für immer da sein? Zu jeder Zeit? Drakon stöhnte erneut gequält. Er würde auf keinen Fall weiter klettern können. Zumindest nicht jetzt.

Leider hatte Drakon mit dieser Aussage recht. Sie wären beide in den Tod gestürzt und niemand hätte sie gefunden, weil niemand wusste, wo sie waren.
"Vielleicht wärt ihr dann aber auch gar nicht gerutscht?"
Nun das wäre die andere Möglichkeit gewesen. Wie auch immer. Sie saßen, bzw lagen, hier auf dem Podest der Felsen und das recht ungeschützt. Würde es jetzt auch noch regnen, sie wären heillos verloren. Drakons Versuch sich hoch zu rappeln, gelang ihm nicht und dieses Mal antwortete er wenigstens ehrlich. Auch wenn seine Frage sarkastisch klang, antwortete sie ihm nun eben so ehrlich.
"Es geht mir besser als euch, aber nicht gerade blendend. Mir tut alles weh vom harten Boden, aber ihr habt gebrochene Knochen und beklagt euch nicht darüber, also warum soll ich dann wegen ein paar Schrammen herumjammern?"
Blut lief gerade ihr Bein herunter. Sie hatte sich das Knie aufgestoßen, als sie sich auf die Plattform geworfen hatte, um ihn zu retten.
"Na toll ... und jetzt hab ich auch noch eine blutende Macke am Knie. Ehrlicher kann ich euch wirklich nicht antworten."
Sie klang nicht mal wirklich sauer, sondern eher ein wenig ... nun genervt von dem Blut.

Drakon sah auf ihr Knie und dann gab er ein Geräusch von sich, was wie ein Tonloses Lachen kling. Dann fing er an leise zu kichern und dann lachte er sogar ein wenig. Was fand er denn nun so lustig? Er legte sich die Hand auf die Stirn und beruhigte sich. „Nein. Ehrlicher geht es wohl kaum.“ Aber was er so lustig fand, schien er nicht sagen zu wollen. Vielleicht war es auch gar keine einzelne Begebenheit, sondern die Gesamtsituation. Und als ob sie nicht schon genug Probleme hätten Donnerte es nun. Drakon sah in den Himmel. Die Regenwolken, die auf sie zukamen würden wohl am Gebirge hängen bleiben. Das war schlecht. Sie würden sich hier draußen den Tod holen.
Wirklich. Ihr habt nicht mehr alle Nadeln an der Tanne. Ihr werdet hier draußen sterben!
„Irgendwelche konstruktiven Vorschläge?“, fragte er nun und meinte damit eigentlich die Stimme, die sich jedoch ausschwieg. „Dachte ich mir.“
Er sah nun wieder zu Tessa,. Oh nein. Hatte er schon wieder… Er hatte sie schon wieder gekränkt.

Irgendwie fand sie es ja schön, das Drakon lachen konnte, doch sie selbst saß nun da, tupfte die Wunde mit einem Stück vom Kleid ab und sah dann verwirrt zu Drakon.
"Was? Was ist so lustig?"
Er schwieg sich jedoch aus. Statt dessen fragte er, ob sie einen konstruktiven Vorschlag machen könne. Tessa sah ihn an, öffnete den Mund um etwas zu sagen und wurde erneut angepampt. Sie schloss den Mund und sah ihn finster an.
"Wie soll ich bitte so schnell einen konstruktiven Vorschlag machen?"
Setzte ihm der Entzug von fester Nahrung und einem angenehmeren Bett so sehr zu? Sie konnte ja wohl kaum fassen, was hier ab ging. Langsam fiel er scheinbar dem Wahnsinn anheim.

Drakon wusste nicht was er sagen sollte. Er seufzte langgezogen und schloss die Augen. Er wollte seinen ganzen Frust einfach herausschreien. Aber er machte das natürlich nicht. Er sagte stattdessen missmutig: „Ich hab mir wohl den Kopf gestoßen.“ Er rieb sich die Schläfen. „Entschuldigt.“
Er lag jedenfalls einfach rum und nun fing es auch tatsächlich an zu regnen. Wie konnte man nur so viel Pech haben? Was sagten die Leute immer übers Karma? Wann hatte Drakon denn etwas Böses getan? Er konnte sich das nicht erklären. Er wünschte sich in diesem Moment zurück an die Mauer. Was für eine Scheiße.
Die Tropfen kühlten seinen Körper und Tessa begann schon bald an zu zittern. Er musste sie irgendwie wärmen. Also richtete er sich auf und sah zu ihr. Dann schlug er vor: „Wenn ihr wollt, wärme ich euch.“ Er breitete die Arme. Die Kratzwunden auf seiner Brust brannten und er würde sie mit seinem Blut besudeln. Aber erfrieren durfte sie ja nun auch nicht.

Also schön. Er hatte sich also den Kopf gestoßen. Schön. Blieb auch nicht aus, bei dem, was heute wieder alles passiert war. Denn noch hätte er doch nicht so patzig sein müssen, oder? Tessa sah Missmutig ins Tal hinunter. Wenn es doch nur einen schnelleren Weg gäbe, der sie Beide nicht so anstrengen würde. Leider gab es diesen aber nicht. Es begann zu regnen. Na wunderbar. Nicht nur das sie nass wurde, wenn der Wind noch richtig zog, bekäme sie noch eine Lungenentzündung. Ach was war das doch toll. Der Mann, den sie eigentlich für so toll gehalten hatte, hatte einen an der Waffel, weil er sich den Kopf gestoßen hatte, seine gebrochenen Knochen ließen das Klettern nicht mehr zu und sie hockte hier und musste sich, eben so wie er, nass regnen lasen. Der Wind tat natürlich sein übriges dazu. Tessa fror und das nicht wenig. Sie konnte es ja nicht mal mehr verbergen, denn sie zitterte am ganzen Leib. Drakon bot ihr an sie zu wärmen. Tessa sah ihn mit einem Blick an, der zu fragen schien:
"Bist du dir ganz sicher?"
gab sich dann aber einen Ruck und kroch direkt in seine Arme. So schön warm, aber das würde nicht lang helfen, wie sie fürchtete.
"Danke,"
flüsterte sie.

Ja. Er war wirklich warm und seine Muskeln umfingen sie. Es würde zumindest wenigstens ein bisschen helfen. Es war ein eigenartiges Gefühl. Wann hatte er zuletzt mal jemanden SO umarmt? Von sich aus? Er kümmerte sich nicht weiter darum, denn es war eigentlich auch egal. Es fühlte sich schön an und Tessa half es, weniger zu frieren. Ja… Er schloss die Augen und versuchte sie vorm Regen zu schützen.
Sie saßen eine ganze Weile so da. Im Regen konnten sie erstrecht nicht klettern. Sie würden nur abrutschen und in die Tiefe stürzen. Es war doch echt wahr zu heulen. Es blitzte und donnerte. Über ihnen hatte irgendwo der Blitz eingeschlagen. Drakon blieb ganz ruhig. Ganz so als fürchte er, dass eine Bewegung ausreichte, den Berg zum Einsturz zu bringen. Er sah hinauf.
„Sch…“
Er begrub Tessa förmlich unter sich und schützte sie mit seinem Körper. Er hatte die Augen geschlossen und sie konnte sehen und hören, wie Steinsplitter herabprasselten. Wie viel sollte Drakon denn NOCH einstecken, ehe es vorbei war? Er blickte ihr in die Augen und wieder war da dieser magische Moment.

Tesa schmiegte sich an Drakon. Er war so warm, so weich ... Es regnete und er versuchte sie zu schützen. Irgendwie fand sie das schon recht romantisch. Sein Herz schlug so schön regelmäßig. Ach wie gern hätte Tessa das auch in Zukunft gehört, doch das könnte sie wohl bald schon nicht mehr. Sie waren zusammen durch eine kleine Hölle gegangen und hockten nun auf einer Plattform in selbiger. Denn noch schaffte Drakon es, nicht auf zu geben und sie, sie würde es auch nicht tun. Was war sie froh, das er es war, mit dem sie hier durch musste. Plötzlich wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als sein geschundener Körper sie zu schützen versuchte. Steine prallten herab, eben so wie Steinsplitter. Sie quickte vor Überraschung kurz auf, ehe sie die Augen öffnete und Drakon direkt in die Augen sah. Diese wunderschönen Augen. Sie spürte seine Nähe, seinen Atme. Der Steinschlag war ihr gerade wirklich herzlich egal. Das was er ihr eben an Gefühlen gab, war wirklich unglaublich. Er schützte sie ... schon wieder. Pflicht hin oder her, er schützte sie nicht nur deshalb. Da war sie sich wirklich sicher.

Vermutlich hatte sie Recht. Wäre sie nicht sein Job, würde er sie auch schützen. Aber es lag nicht unbedingt nur an ihr. Er fand jedes Leben schützenswert. Und wäre sie jemand anders, hätte er vermutlich auch so gehandelt. Trotzdem dass sie es war, die er beschützen durfte, war schon sehr schön. Er wollte eben wieder aufstehen, nachdem der Steinhagel aufgehört hatte, als ein letzter größerer Splitter auf seinen Hinterkopf fiel. Der Aufprall drückte seinen Kopf hinab und sein Gesicht landete erneut in ihrem Ausschnitt, wo er nun kurz reglos blieb. Scheinbar hatte der Stein ihn K.O. geschlagen.