Tales war wieder aufgestanden. Er sah aus, als sei eben seine Welt in tausend Scherben zersprungen. Dana heilte ihn und Lia war total verstört. Ebenso wie er. Wozu hatte er all das auf sich genommen? Er war verzweifelt. Was hatten die Götter ihm angetan? Hatte er nicht schon genug gelitten? Was sollte er denn noch tun, dass man ihm seinen Verrat endlich vergab? Er brauchte Hilfe. Irgendjemand musste ihm doch helfen können! Er schaffte es offensichtlich nicht alleine und er war verzweifelt. Er weinte nicht, aber er wollte gerne.
„Dana… Lia… Lasst uns… gehen.“ Langsam, fast lustlos erhob er sich und ging zu seinem Rappen. Er schien zu spüren, dass es ihm nicht gut ging und stupste ihn leicht mit den weichen Nüstern. Tales streichelte ihn kurz und stieg auf. Er wartete auf die beiden Damen und er hatte keinen Antrieb, die Leichen zu bestatten. Nicht jetzt. Er sah auf den Boden und wortlos ritten sie nach Hause, wo sie die Pferde in den Stall brachten.
„Bitte, lasst mich einen Augenblick alleine.“, sagte er so herzzerreißend traurig, dass es wehtat. Tales ging gleich in sein Zimmer und sah aus dem Fenster. Er wusste nicht, was er noch tun konnte. Seine bloße Existenz würde Lia immer wieder verführen und er konnte nichts dagegen tun. Er wollte alleine sein irgendwie… Er schloss die Augen und sagte leise: „Ich habe euren Zorn verdient… Aber… Warum müssen denn alle leiden, die mir wichtig sind? Eure eigene Tochter…“ Jetzt weinte er und sah zur leeren Vitrine. Lustlos erhob er sich und strich über das Glas. „Wofür das alles? Dafür, dass wir am Ende doch nur leiden können? Ich gab euch mein Wort, doch wie kann ich Wort halten, wenn ich weiß, dass die, die mir am wichtigsten sind, nichts anderes tun können, als leiden?“ Sie würden nicht antworten. Das taten sie nie. Und wie auf einen Hilferuf hin erschien Lex neben ihm. Er schloss Tales ohne Vorwarnung in seine Arme und beide Männer schienen sich stumm zu verstehen. Lex hielt ihn lange und fragte dann leise: „Wirst du uns wieder verraten?“
„Der Verrat kennt meinen Namen, Lex. Ich war es schon immer. Der Verräter… Der, der das Glück derer, die ich liebe, allem voran stellt.“ Lex ließ ihn nicht los und sagte dann: „Wird es wieder so sein? Du weißt, wie es enden wird, wenn du dein Wort erneut brichst.“
„Egal wie lange ich kämpfte… Jedes Mal… änderte sich das Resultat nie… Wie soll ich Hoffnung haben, wenn es jedes Mal immer und immer wieder doch nur gleich endet…?“ Lex ließ ihn nun los. Seine weißen reinen Schwingen strahlten so schön. Lex strahlte Ruhe und Güte aus, aber sein Blick war streng. „Verrätst du uns erneut, werde ich dich töten, Tales.“
„Ich werde wieder aufstehen, so oft du es versuchen wirst.“ Tales sehnte sich nach Frieden, den er niemals bekommen würde. „Dann werde ich dich so lange töten, bis du endlich Frieden gefunden hast.“ Tales sah ihn an und musterte den strengen und doch mitleidigen Blick von Lex. „Du kannst mir nicht den Frieden geben, den ich mir wünsche. Lex… was soll ich tun? Was ist mit meiner Tochter? Warum hat sie solch eine Macht über mich? Wieso das alles? Ich wünsche mir doch nichts weiter, als ein Stück vom Glück. Und immer wenn ich glaube, dass ich mir etwas aufbaue, wird es wieder zerstört… WAS will der Himmel von mir? Buße? Ich habe mein Leben lang nichts als gelitten, ist es nicht langsam genug? Was wollt ihr noch, dass ich tue?! Was?!“ Er hatte Lex nun an beiden Schultern gepackt, sank aber langsam auf die Knie und weinte nun doch. „Was soll ich denn NOCH tun…“
Lex sah auf ihn herab und sagte: „Du weißt, was du tun musst…“
„Ist das die Strafe für Verrat? Oh Lex… Ich habe sie so geliebt. Tue es noch und werde es immer tun. Ist es so falsch, zu lieben? Wie grausam sind die Götter, wenn sie UNS, ihren Kindern verwehren zu lieben?“
„Du darfst lieben. Aber sei dir bewusst, dass du alles opferst, wenn du erneuten Verrat begehst. Du gabst uns dein Wort…“
„Und WAS zählt schon das Wort eines…“ Lex gab ihm eine Ohrfeige. „Reiß dich zusammen! Du hat deine Macht versiegelt, um nicht kämpfen zu müssen. Du hast dein Schwert vernichtet, um nicht kämpfen zu müssen! Du bist ein Feigling und armselig. Du hast kein Recht darüber zu sprechen, die zu beschützen und zu retten, die du liebst, wenn du dich SO verhältst!“
„Lex! Ich kann nicht mehr! Ich bin am Ende! Ich kann einfach nicht mehr stand halten! Ich...“
„Nein!“ Lex sah ihn zornig an. „Du hast kein Recht dazu aufzugeben!“
Tales sah ihn verstört an. Sein Herz hämmerte in seiner Brust und er wusste nicht, wohin mit all den Tränen, dem Schmerz und dem Leid. „Steh wieder auf! Du bist IMMER aufgestanden! Du bist ein armseliges Würstchen geworden und sprichst davon, die zu beschützen, die du liebst! So wie du jetzt bist, kannst du nicht mal dich selbst beschützen! Ganz zu schweigen, von deinen Liebsten und der Welt! DU hast es nicht verdient geliebt zu werden, wenn du dich SO verhältst!!!“
Tales Blick wandelte sich. Er sah nun zornig aus. Feuer loderte in seinen Augen und er sprang auf. Er packte Lex und drückte ihn gegen die Wand. „HÖR AUF!“, rief er Lex entgegen und fletschte die Zähne. „ICH habe also kein Recht aufzugeben? ICH habe kein Recht, euch erneut zu verraten? Und ICH habe kein Recht geliebt zu werden?! Ich sag dir was: ICH habe jedes Recht dazu zu tun, was immer mir beliebt, denn ICH war es, der die Welt neu errichtet hat! ICH war es, der allen Bedingungen zum Trotz immer wieder aufgestanden ist, um zu erreichen, was mir wichtig ist! ICH habe den Himmel beschützt und ICH habe euch gedient! ICH habe alle Sünden auf mich geladen und ICH war es, der allen Schmerz für EUCH entgegen nahm! Wenn liebe Verrat ist, dann bin ich der stolzeste Verräter, auf Gottes Acker! Du hast nicht die leiseste Ahnung, was ICH getan habe, um diese unsere Welt zu schützen! ICH habe die Höllenpforten mit meinem Blut befleckt, um die Heerscharen der Finsternis aufzuhalten und ICH habe alle Finsternis in mir vereint, um den Vater und die Mutter zu bewahren! Du hast nicht den blassesten Schimmer, was ICH getan habe!“ es verwirrte Tales, dass Lex nun lächelte. „Ja…“, sagte er sanft. „DU bist immer wieder aufgestanden… Wieso nun nicht mehr?“
„Weil es genug ist! Wie lange soll ich noch leiden?! Ich kann nicht mehr!“
„Du kannst. Du musst… Du hast keine Wahl.“
„Man hat IMMER eine Wahl…“, sagte Tales nun und ließ von Lex ab und der sagte: „Ja… Aber nicht in diesem Fall. Es gibt keine Wahl. Nur vorwärts oder der Tod. Du bereust nichts, sagtest du mir einst. Bereust du auch nicht deinen Verrat?“ Tales schwieg eine Zeit lang. „Es gab keinen einzigen Tag in meinem Leben, an dem ich es bereut hätte…“
„Dann hast du auch keinen Grund aufzugeben.“ Tales Blick ging auf den Boden. Er sah verschwommen und er lächelte nun grimmig. „Du hast Recht…“ Lex war erleichtert. „Für Dana… Für Lia… und unser ungeborenes Kind. Für alle meine Freunde, und für den Frieden dieser Welt…“ Er blickte nun wieder auf. „Aber nicht für den Himmel. Macht was ihr wollt. Quält mich, geißelt mich, tötet mich jeden Tag ein Stück mehr. Reißt mir das Herz raus und zerquetscht es vor meinen Augen… Ich werde nicht aufgeben. Du hast Recht Lex, aber ich tue das hier nicht, weil ich es muss, sondern, weil ich es will.“
„Warum du es tust ist nicht relevant.“
Tales setzte sich auf sein Bett und sagte dann: „Ich bin müde. Lass mich bitte allein.“
„Tales? Ich bin auf DEINER Seite.“
„Ich weiß… aber das ändert rein gar nichts.“ „Nein…“ Lex verschwand und Tales gönnte sich noch einmal Tränen. Lia… Was sollte er nur tun. Er stand auf und ging erst mal zu seinen beiden Damen. Sie würden sehen dass er geweint hatte, aber es war ihm egal. Er nahm die beiden in die Arme und sagte: „Ich liebe euch von ganzem Herzen.“ Das taten sie auch und so standen sie kurz da und spendeten sich gegenseitig Kraft. Dann ging er mit ihnen im Schlepptau zu Zel. „Du hast noch das Schwert.“
„J-ja? Hast du… äh… es steht da drüben.“
„Danke.“ Zel betrachtete Tales und als dieser das Schwert aus der Scheide zog, geschah etwas merkwürdiges, ja um nicht zu sagen, etwas unglaubliches. Aus Tales Brust drangen tiefschwarze Blitze, die in der Klinge einschlugen. Tales atmete überrascht ein und er war außer Stande die Klinge wieder loszulassen. Zel drängte Cian und Liam hinter sich. Sie lugten aber hervor. Tales knirschte mit den Zähnen und seine Augen leuchteten rötlich. Er schrie kurz auf und dann gab es eine Druckwelle, die alle umwarf, außer Tales, dessen schwarze Schwingen hervor brachen. Das Schwert hatte sich plötzlich verändert und es sah aus, wie das verhasste und verfluchte schwarze Schwert, was sie alle so fürchteten. Tales ging in die Knie und atmete schwer. Lia hatte nur noch einen Wunsch… Das Schwert an sich nehmen und blutige Rache an all jenen üben, die ihren Vater verletzt hatten, was in ihren Augen ALLE waren, sogar sie selbst.