„Kiransal?“, fragte Anegin, ohne vorher auf die gesprochenen Worte einzugehen. „Was wisst ihr sagt man Drachen nach?“ Kiran verstand die Frage nicht wirklich und er hatte schon ein spitzen Kommentar auf den Lippen, den er aber herunter schluckte. Dass sie nicht dumm sind. Er sah Anegin an, doch dieser blickte unentwegt auf den schwarzen Schopf des Gefangenen vor ihm. Kazel. „Also?“, hakte er nach.
„Sie sind mächtig.“ „Und?“ „Sie sind die Herrscher der Lüfte, von edlem Geblüt und reiner Seele.“ „Was aber bewunderst du am meisten, an ihnen?“
Kiran zögerte er schluckte, sah zu Kazel, dann zu Anegin. „Sie sind weise.“ Anegin brummte zufrieden und Kiran verstand endlich worauf er hinaus wollte. „Und? Findest du, ich sei weise?“ Elentari kannte den Drachen gut, schließlich reisten sie schon lange zusammen. Immer wenn er diesen belehrenden Unterton annahm, wusste sie, dass er sich einer Sache sehr, sehr sicher war. Allerdings irrte auch ER sich manchmal.
„Im Moment… eher nicht.“, gab Kiran ganz ruhig zu. Kazel bewegte sich nicht er kniete nur vor dem Drachen und hielt sein Haupt gesenkt.
„Dachte ich mir.“, sagte Anegin und legte Kazel nun die Hand auf die Schulter. Dieser zuckte regelrecht unter der Berührung zusammen und Kirans aufmerksamer Blick betrachtete die Szene. Tryndamere beobachtete ebenfalls und Ailish schlummerte bereits an seiner Seite. Genau wie Lilly in ihrem Schoß.
„Du findest es ist ein Fehler ihn frei zu lassen?“
„Nicht nur ich…“, sagte er fest, aber irgendwie forschend. Anegin lächelte dieses Mal nicht. Er war ganz ernst und dann richtete er das Wort an Kazel.
„Vergibst du dir, Kleiner?“ Auch er benutzte diesen Namen unwissentlich. Und Kazel schloss die Augen. Er sagte nichts und Anegin hob sein Kinn an und sah auf die geschlossenen Augenlider. Er widerholte seine Frage und Kazel öffnete die Augen. Seine Iris schien fast zu glühen, so viel Emotion brach aus ihnen hervor. „Nein…“, hauchte er mit Tränen erstickter Stimme. Anegin sah ihn immer noch ernst an und Kazel begriff das Ausmaß des Alters in seinen Augen. Dieser Mann musste Jahrhunderte… Oder Jahrtausende schon umherwandeln… Dieser Drache, nicht Mann. Kazel spürte dieses Alter wie eine schier endlose Laust auf seinen Schultern. Es tat beinahe weh in diese Augen zu sehen.
„Kiransal?“ Selbiger trat einen Schritt nach vorne und sah fragend zu Anegin. „Löse das Band!“, ganz ruhig sprach er. „Lieber nicht… Verzeiht ich…“
„Kiransal.“ Immer noch ruhig und gelassen. Er betrachtete dabei Kazels Augen, die ihn anstarrten, nicht wagend woanders hinzuschauen, als in die grünen Smaragdaugen des Drachen. Wehmütig, beinah schmerzerfüllt, streckte Kiran die Hand nach vorne und die schwarzen Bänder lösten sich ins Nichts auf. Kazels Hände noch imemr gefesselt, das Halseisen immer noch dran. Kazel holte hörbar Luft. Und Kiransal sah ihm immer noch in die Augen. Schließlich ertrug Kazel es nicht mehr und sah wieder auf den Boden. „Wofür entscheidest du dich? Kazel oder Engel. Du musst dich nicht rechtfertigen, ich lasse dir die Wahl, sie liegt ganz bei dir. Du allein entscheidest es. Du bist nicht länger wer du warst, sei wer du willst, aber du musst es mir sagen. Sieh mich an.“ Kazel brauchte einen Moment, ehe er wieder aufsah. Wie viel spielte er da? Was war echt? Wer war er jetzt? Der Todesengel, der sie alle töten würde oder der Junge, der vor vielen, vielen Jahren angefangen hatte, seinen Geburtstag zu hassen…
„Wer bist du?“, fragte Anegin noch einmal und die Fesseln zersprangen an den Händen und das Halseisen löste sich und fiel zu Boden. Kazel war so überrascht darüber, dass sich seine Augen weiteten. Anegin hatte noch immer Körperkontakt zu ihm. Die Hand auf seiner Schulter, die andere nun auf seine Hand, wo die Fesseln waren. Die Welt schien für einen Moment aufzuhören, sich zu drehen. Und dann sagte der ehemalige Gefangene: „Kazel… Ich bin Kazel.“ Eine einzige Träne verließ seine Augenwinkel und Anegin sah immer noch sehr ernst aus. „Ich bin Kazel.“, widerholte selbiger und Anegin nahm vorsichtig die Hand von der Schulter und nahm nun auch die andere Hand Kazels in die seine.
„Du willst leben?“
Kazel nickte und gab ein klägliches „Ja“ von sich.
„Dann lebe!“ Aneins Augen leuchteten förmlich und Kazel würde diesen Anblick nie wieder vergessen. Anegin stand auf und zog Kazel hoch. Er klammerte sich förmlich fest und als sie standen liefen immer mehr Tränen seine Wangen hinab, als wollten sie nach all den Jahren plötzlich alle auf einmal hervor kommen. Konnte man so etwas wirklich spielen? Wie viel Übung hatte Kazel darin? Es lag etwas magisches in diesem Moment.
Plötzlich schoss Kazel nach vorne. Anegin hielt dem Druck stand und Kiran reagierte sofort. Er ließ seine Macht los und wollte Kazel züchtigen, doch sein Zauber war offenbar wirkungslos. Anegin und Kazel leuchteten nur in dem verräterischen Blau eines Blitzes. „Nein!“, hauchte Kiransal und als sich dieses Flackern legte, hielt Anegin Kazel in seinen Armen, beide waren in die Knie gegangen und der hohe Drache drückte Kazel an sich. Dieser schien einfach nur hemmungslos zu weinen.
Kiran brauchte einen Moment um zu verstehen, dass das leuchten, ein Schutzzauber Anegins gewesen war, der Kirans Zauber abgehalten hatte. Anegin verlor kein Wort darüber und Kiran betrachtete nur die Situation. Hatte der Drache geschafft, woran die anderen gescheitert waren?
Es dauerte noch einen Moment und alle schienen den Atem anzuhalten. Dann lösten sich die beiden Männer voneinander und Kazel wischte sein Gesicht trocken.
„Bereust du die Taten des Todesengels?“ Kazel reagierte nicht so richtig, sah nur auf den Boden, wie ein Kind, dass man beim Stehlen ertappt hatte. „Und vergibst du ihm?“
„Niemals.“ Das hingegen kam wie aus der Pistole geschossen.
„Vergiss es nicht. Aber, Kazel, das bist du nicht, verstanden? Verurteile dich nicht für die Taten eines anderen.“ Nun sah Kazel überrascht auf. Absolution? Einfach so? Das war nicht gerecht. „Aber…!“
„Schhh… Du bist Kazel, niemand sonst.“
Kiransal sah auf die Szene, als seien die beiden au0erweltliche Wesen auch Tryn war ganz ruhig und bestaunte die Tatsache, wie Anegin handelte. Vollkommen … absurd, wie er fand. Und schließlich lockerte er unwissentlich die ganze Situation auf, indem er sagte: „Jemanden zu töten ist doch kein Verbrechen. Es ist eine ehre im Kampf zu sterben und dem deutlich besseren zu unterliegen. Das ist doch alles Weibisches Geschwätz!“ Anegin huschte nur kurz ein Lächeln übers Gesicht und Tryndamere legte sich hin, wobei Ailish leicht murrte, aber nicht wirklich aufwachte. „Ich werde die Südländer nie verstehen.“, brummte er und schien nun schlafen zu wollen. Wenn man betrachtete, dass alle Menschen für einen wie ihn Südländer waren, war das Ganze nur noch um ein kleines bisschen lustiger.
Kazel sah zu Tryn, dann zu Kiran, der ihm offensichtlich immer noch feindselig gegenüber stand. Nun sah Anegin zu Eilidh, die ihn gewarnt hatte, dass Kazel nicht mehr der sei, der er mal gewesen sein mochte.
„Du hast Recht Eilidh… Das ist er nicht.“
Nun… Vertrauen… Kazel machte sich nicht die Hoffnung, dass ihm die Leute hier nun vertrauten. Ganz besonders Eilidh nicht, aber das konnte er wohl auch kaum erwarten.
„Ich…“, er räusperte sich. „Ich werde niemandem von euch ein Haar krümmen. Ich schwöre es.“ Dann sah er zu Eilidh. „Aber ich erwarte nicht, dass ihr mir glaubt.“ Er hob das Halseisen auf.
„Das da brauchst du nicht.“, sagte Anegin nun leicht verwundert.
„Nein. Ich nicht…“ Er legte es um seinen Hals. „Aber vielleicht… jemand anders.“ Dabei blickte er unentwegt zu Eilidh. Gespielt? Wer weiß. Vielleicht zog Kazel hier nur wieder eine Show ab, um im rechten Moment zuzuschlagen. Vielleicht sprach er aber auch die Wahrheit. Anegin würde sich jetzt nicht noch einmal einmischen. Vielleicht war es wirklich besser, ihm wenigstens diese furchtbare dämonische Macht zu nehmen. Eilidh konnte ihm einfach nicht mehr vertrauen, auch nicht auf das Anraten des Drachen, aber das hieß nicht automatisch, dass sie es nicht doch noch einmal versuchen konnte, oder? Die Situation war schon ein wenig konfus.